Die DIN EN 12101 2:2003 und ihre Folgen

Normgerecht entrauchen

Im Bereich der RWA mangelte es bislang an einer klaren Rechtsgrundlage bezüglich der zu verwendenden Produkte. Stattdessen dienten in der Vergangenheit gleich mehrere Normen und Richtlinien als grobe Orientierung – allerdings ohne einen rechtlich einwandfreien Rahmen vorzugeben. Dieser ist nun mit der DIN EN 12101-2:2003 geschaffen. Die Diskussionen verstummen dennoch nicht.

Am 9. April 2003 wurde die Europäische Norm DIN EN 12101-2:2003 (Rauch und Wärmefreihaltung – Teil 2: Festlegungen für natürliche Rauch- und Wärmeabzugsgeräte) vom Europäischen Komitee für Normung (CEN) angenommen. Sie hat mit der Veröffentlichung im Deutschen Amtsblatt vom 17. März 2004 den Status einer deutschen Norm erlangt. Die neue DIN EN 12101-2:2003 löste die bis dahin in Deutschland verwendete DIN 18232-3 (Rauch- und Wärmefreihaltung – Teil 3: Prüfungen) ab.

Nach europäischen Regeln war für die Umsetzung in nationales Recht eine Koexistenzperiode (Übergangsregelung) bis zum 1. September 2006 vorgesehen. Ab diesem Zeitpunkt hat die EN 12101-2:2003 alleinige Gültigkeit in Deutschland und ist damit verbindlich für alle Hersteller, Lieferanten und Verarbeiter der betroffenen Bauprodukte.

Das Gesamtwerk der EN 12101 regelt die „Anlagen zur Rauch- und Wärmefreihaltung“ in Gebäuden und besteht aus mehreren Teilen, die sich den unterschiedlichen Bereichen der Entrauchung widmen. Teil 2 regelt innerhalb dieser Normenreihe die Anforderungen und Prüfverfahren für „natürliche Rauch- und Wärmeabzugsgeräte“ (NRWG). Im Teil 9 werden die „Steuerungstafeln“ (Zentralen) und im Teil 10 die „Energieversorgungen“ zur Ansteuerung der NRWG behandelt.

Bisherige Situation

Die im Brandfall durch natürliche Thermik bewirkte Ableitung von Rauch und Wärme über automatisch betriebene Öffnungen in der Gebäudeaußenhaut gehört seit vielen Jahren zur gängigen Praxis. Diese Öffnungen sind allgemein als RWA-Öffnungen bekannt.

Je nach Gebäudeart und Architektur sind verschiedene Formen und Einbauarten von RWA-Öffnungen im Dach und in der Fassade üblich. Als Auslöseelemente für Lichtkuppeln im Dachbereich waren überwiegend pneumatisch betriebene Zylinder üblich. Für die Betätigung der Fenster im Fassadenbereich wurden elektromotorische Antriebe bevorzugt.Bislang entstand eine RWA-Öffnung gewöhnlich am Bauvorhaben durch den handwerklichen Anbau der Antriebe an die vom Fassaden- oder Metallbauer gelieferten Fenster.

Es fehlte allerdings eine klare Rechtsgrundlage bezüglich der zu verwendenden Produkte. Eine Reihe unterschiedlicher Normen und Richtlinien diente als Orientierung, ohne aber je einen rechtlich einwandfreien Rahmen zu schaffen. Die Bauarten und Prüfmethoden von pneumatisch betriebenen Lichtkuppeln für den Dachbereich von Industriebauten wurden durch die DIN 18232-3 geregelt.

Die Antriebe von elektromotorisch betriebenen RWA-Öffnungen in der Vertikalfassade wurden lediglich einer Brandprüfung in Anlehnung an diese Norm unterzogen. Für Komponenten von RWA-Anlagen in Treppenhäusern, die gemäß den Landesbauordnungen (LBO) der Bundesländer vorgeschrieben sind, wurden VdS-Richtlinien erstellt. Auf diese Richtlinien verwies später die DIN 18232 im Teil 2: „Natürliche Rauchabzugsanlagen (NRA) – Bemessung, Anforderungen und Einbau“ als Prüfungsgrundlage für Komponenten von elektromotorisch betriebenen RWA-Öffnungen.

Eine Einheit statt getrennter Produkte

RWA-Öffnungen werden nun zu einer Einheit und müssen als System geprüft werden.Die Fenster und Antriebe wurden in der Vergangenheit als getrennte Produkte gesehen. Die DIN EN 12101-2 führt zur Verschmelzung der Einzelkomponenten Öffnungselement (Fenster/Lichtkuppel) und Öffnungsmechanismus (Pneumatikzylinder/Elektroantrieb) zu einer Systemeinheit, die als NRWG bezeichnet wird.

Diese Bezeichnung bezieht jegliche Öffnungselemente mit ein, die zum natürlichen Rauch- und Wärmeabzug geöffnet werden können. Sie gilt zum Beispiel für Lichtbänder und Lichtkuppeln im Dachbereich gleichermaßen wie für Fenster und Klappen in der senkrechten Außenwand.

Gemäß EN 12101-2 werden NRWG einer Vielzahl von Prüfungen unterzogen. Es ist nicht notwendig, jede Einzelgröße einer NRWG-Baureihe zu prüfen. Es ist ausreichend, die Prüfungen anhand einer repräsentativen Auswahl durchzuführen und die Ergebnisse dann rechnerisch auf alle weiteren Zwischengrößen der Baureihe zu übertragen.

Leistungsklassen

Jedes NRWG muss seine maximale Öffnung und damit seine maximale aerodynamisch wirksame Öffnungsfläche binnen 60 Sekunden erreichen. Die Einhaltung dieses Zeitfensters wird bei allen Prüfungen zur Klassifizierung eines NRWG nach folgenden Leistungsklassen berücksichtigt:

  • Bestimmung der aerodynamisch wirksamen Öffnungsfläche (Aa) anhand der ermittelten aerodynamischen Durchflussbeiwerte mit/ohne Seitenwindeinfluss (Cv0/Cvw),
  • Prüfung der Funktionssicherheit (Re),
  • Funktionsprüfung mit äußerer Schneelast (SL),
  • Funktionsprüfung bei niedrigen Temperaturen (T),
  • Prüfung der Standsicherheit unter Windlast (WL),
  • Prüfung der Wärmebeständigkeit (B),
  • Prüfung des Brandverhaltens von Materialien (EN 13501, Klasse E).

Es wird dabei zwischen zwei NRW-HG-Typen unterschieden:

  • Typ A: NRWG, das in seine Funktionsstellung geöffnet werden kann, sowie
  • Typ B: NRWG, das in seine Funktionsstellung geöffnet und aus der Entfernung wieder geschlossen werden kann.

CE-Kennzeichnung

NRWG fallen unter die EU-Bauprodukten-Richtlinie (EU-BPR) und müssen mit einem CE-Kennzeichen versehen sein. Nach Abschluss der Prüfungen werden die Prüfergebnisse sowie alle relevanten Konstruktionsdetails und technischen Leistungsmerkmale einer NRWG-Baureihe in einem Ersttypprüfbericht zusammengefasst. Dieser dient als Grundlage für die Ausstellung des EG-Konformitätszertifikats, das den Inhaber zur Herstellung und CE-Kennzeichnung der darin aufgeführten NRWG berechtigt.

Die Europäische Kommission hat ursprünglich das CE-Kennzeichen nur zu dem einzigen Zweck eingeführt, den freien Warenverkehr innerhalb der EU sicherzustellen. Durch die Aufnahme der NRWG in die BPR und damit in die Bauregelliste Teil B des Deutschen Institutes für Bautechnik (DIBt) wird dieses Konformitätszeichen als Zulassungsvoraussetzung für Bauprodukte eingesetzt. Daraus entstehen leider vielfältige Missverständnisse.

In vielen Fällen ist für den Anwender nicht eindeutig klar, ob ein NRWG nach EN 12101-2 oder nur eine Öffnung zur Rauchableitung gemäß LBO notwendig ist. So sind zum Beispiel Treppenräume, die nicht zur Evakuierung genutzt werden, in der Bauregelliste Teil C des DIBt geregelt, die keine Anforderungen an RWA-Öffnungen stellt.

Somit müssen in diesen Treppenräumen keine NRWG nach EN 12101-2 eingebaut werden, sondern es reicht die bisher bekannte RWA-Öffnung zur Rauchableitung. In manchen Bundesländern, wie beispielsweise Hamburg, gelten jedoch abweichende Regelungen, die generell den Einsatz von NRWG vorschreiben.

Des Weiteren können NRWG mit einer Zulassung im Einzelfall (ZiE) eingesetzt werden, welche aber der Bauherr beziehungsweise dessen Erfüllungsgehilfe (Architekt) bei der Obersten Baubehörde des zuständigen Bundeslandes beantragen muss.

Fremdüberwachung

Die Fertigung von NRWG muss fremdüberwacht werden. Gemäß Artikel 13 der EU-BPR muss bei der Herstellung von NRWG eine werkseigene Produktionskontrolle (WPK) durchgeführt werden, ähnlich eines Qualitätsmanagementsystems nach ISO 9001. Die WPK wiederum muss durch eine zugelassene und von der EU-Kommission notifizierten Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstelle (PÜZ-Stelle) beurteilt und überwacht werden.

Nur so gefertigte und überwachte NRWG dürfen vom Inhaber des EG-Konformitätszertifikats mit dem auf seinen Namen registrierten CE-Kennzeichen versehen und in Verkehr gebracht werden. Um das EG-Konformitätszertifikat als Hersteller von NRWG bei einer notifizierten PÜZ-Stelle zu beantragen, sind folgende Nachweise erforderlich:

  • Besitz/Nutzungsrecht an der Zusammenfassung von Ersttypprüfungen,
  • Organisation und Durchführung der WPK,
  • Fremdüberwachungsvertrag mit der PÜZ-Stelle.

In NRA eingebunden

NRWG sind Teile einer natürlichen Rauchabzugsanlage (NRA). Das NRWG wird als automatisches Öffnungselement in eine NRA eingebunden. Diese NRA muss mit den Anschlusswerten aus dem EG-Konformitätzertifikat des NRWG kompatibel sein. Die NRA ist jedoch nicht Bestandteil der NRWG-Zertifizierung.

Die wesentlichen Anlagenteile zur Ansteuerung einer NRA sollen in der EN 12101 im Teil 9: „Steuerungstafeln“ und im Teil 10: „Energieversorgungen“ geregelt werden. Teil 9 befindet sich noch in der Entwurfsphase, mit der Einführung wird nicht vor Ende 2010 gerechnet.

Teil 10 ist bereits in der Koexistenzphase, deren Ende aber vorerst auf 2011 verlängert wurde, um dann gemeinsam mit Teil 9 in Kraft zu treten. Parallel dazu wird daran gearbeitet, die aktuellen Stände der einzelnen Teile der EN 12101-ff auf internationale Ebene zu heben und in der ISO 21927-ff umzusetzen.

Kontroverse Diskussion

Wichtig ist, dass für NRWG, bei denen gemäß EN 12102-2:2003 Anhang B der aerodynamische Durchflussbeiwert ohne Seitenwindeinflüsse ermittelt wurde, in die NRA eine windrichtungsabhängige Steuerung eingebunden sein muss. Diese Steuerung öffnet im Brandfalle jeweils nur diejenigen NRWG, die sich auf der dem Wind abgewandten Seite befinden.

Zurzeit gibt es jedoch noch keine geltenden technischen Regeln, wie eine windrichtungsabhängige Steuerung aussehen soll. Den einzigen Hinweis dazu gibt die DIN 18232-2 im informativen Anhang C: „Rauchabzugflächen in Außenwänden – Erläuterungen“.

Derzeit wird zwischen den PÜZ-Stellen sehr kontrovers über die aerodynamischen Durchflussbeiwerte mit Seitenwindeinflüssen bei NRWG als Dachfenster aus Aluminiumprofilen diskutiert. Wegen der Auslegbarkeit des diesbezüglichen Normentextes sowie Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Mitgliedsstaaten über die Prüfung des Brandverhaltens von Baustoffen, wird sich die für Oktober 2009 angekündigte Revision der EN 12101-2:2003 voraussichtlich auf Ende 2010 verschieben.

NRWG mit und ohne Doppelfunktion

Bei NRWG, die auch zu Lüftungs-zwecken verwendet werden, spricht die Norm von einer Doppelfunktion: Entrauchung und Lüftung. In diesem Fall ist eine erhöhte Anforderung an die Funktionssicherheit vorgeschrieben. Vor der Durchführung der geforderten Anzahl von Öffnungen zur Entrauchung werden die NRWG einer Dauerprüfung von 10.000 Lüftungszyklen unterzogen.

Für die Verwendung von NRWG als Fenster in der Fassade gilt es, zukünftig weitere Besonderheiten zu berücksichtigen. So ist derzeit zum Beispiel die EN 60335 „Sicherheit elektrischer Geräte für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke – Teil 2-103: Besondere Anforderungen für Antriebe für Tore, Türen und Fenster“ in Vorbereitung sowie die EN 13551 „Fenster und Türen – Produktnorm, Leistungseigenschaften – Teil 1: Fenster und Außentüren ohne Eigenschaften bezüglich Feuerschutz und/oder Rauchdichtheit“ bereits in der Koexistenzphase. Aus diesen Normen werden sich möglicherweise weitere Vorgaben bezüglich der Herstellung und des Einsatzes von NRWG ergeben.

Fachartikel aus PROTECTOR Special Brandschutz 2009, S. 29 bis 31
Michael Weber, Leiter Vertrieb bei der Aumüller Aumatic GmbH

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